Etwas wird sich ändern, sich wandeln müssen, da ich mich annähere. Vielleicht nicht alles, was meine Erfahrungen ausmacht, jedoch um ein nicht Unwesentliches von Gewohntem abrücken, auf andere Weise sehen lernen müsste ich, das lässt sich nicht umgehen angesichts dessen, was mir mit Kim Kluge und ihrem Werk begegnet. Denn um zweierlei geht es wohl von Anfang an: um unbeeinflusstes unmittelbares Erleben, und dass Formen, Farben, Dinge sich selbst mitteilen, nicht Sinneszuspruch, wenn es geht.
Wohl gemerkt, nicht zusichern kann ich, dass ich vor „Rückschritten“ ins übliche alte Gleis nicht immer frei sein werde, doch nach einem Schritt zurück kann ich mich gut wieder annähern.
Der allererste, der unmittelbare Eindruck dabei ist der einer Flut, eines Angeflutetwerdens. So elementar wirkt es auf mich, dass ich es nicht beiseite lassen kann. Bis kurz vor mich hin strömt diese Flut, bis an meine Knie, an meine Zehenspitzen, wo sie scheinbar inne hält, angehalten wird. Woher rührt sie? Wurden die Schleusen des Himmels aufgetan? Oder die Brunnen der Tiefe? Von oben herab eilt überströmend die Flut, doch könnte sie nichts desto weniger auch aus der Tiefe hervor drängen, sich aufbäumen, wachsen zum mächtigen Schwall ob ihrer Überfülle und Gewalt.
Ich begehe einen „Rückschritt“, ich bemerke es, da ich mich frage, was es mit den Farben auf sich hat, welche die Flut mit sich führt…
Farben sind Farben, sagt Kim Kluge, Rot ist Rot. Aus ihnen leiten sich keine Bewertungen ab, keine Zuschreibungen, keine Illustrationen für Gemütszustände, vielmehr für naturgegebene Universalität, und ebenso sagt Kim Kluge, dass Leid (in der Welt) auf unserem zu schnellen Begehren gründe, alles an unseren Gefühlen fest zu machen und gemäss ihnen zu werten. Immer wieder bin ich diesen Worten nach gegangen.
Beherrscht wird das Fluten von hellem Karminrot. Es quillt und fliesst von überall heraus, unter blassem Türkis, unaufhaltsam, unter weissgrauen und cremefarbenen Inseln, durchsetzt und umrahmt von buttergelben Einschlüssen. Feuer aus der Tiefe des Meeres? Rot und Gelb. Magmastrom? Opferstrom? Kräfte der Tiefe? Entsteht etwas, oder vergeht es?
Ich verbiete mir, mich weiter so zu verlieren. Beruhigend, da das bisherige Fragen mich schon in Unruhe genug versetzt hat, sind die Hände über der Flut, die ich wahrnehme, die sich herab senken, die dabei sind, einzugreifen in die möglicherweise aus der Tiefe empor gedrungene Unordnung, die mit ihrer Haltung, mit ihrer bereits vollzogenen Berührung in Aussicht stellen, der Unübersichtlichkeit, den ungefügen Kräften, die in der Flut dahin wirbeln, zu gebieten, ihnen Sinnhaftigkeit zu verleihen. Das Werkzeug, die Filznadel, geht ebenso mit herab, bereit, überlegend, Teil eines noch nicht offen gelegten Plans - Kim übe Nachsicht, dass sich mir ein göttliches Werkzeug aufdrängt, ein göttlicher Vierzack, vier vereinte energiegeladene hernieder gesenkte Lanzetten -, sie werden dem Chaos Gestalt geben, Rhythmen, Harmonien, Welle an Welle fügen, zusammen führen, werden einen, das ist gewiss, das spricht die Ruhe, die in den Händen und in dem Werkzeug gesammelt ist, über den aufgewühlten, noch ungebändigten Elementen.
Noch sehe ich mich am Anfang. Auch darin, was Leid und Gefühle angeht. Entspringt das nicht ebenso gut unserem Unwillen, sich über Gefühle Sicherheit zu schaffen, zu vermeinen, Gedanken seien Gefühle? Dazwischen umher zu irren wie im Labyrinth?

Text: Friedhard Tischer