Der ehemalige Architekt Paul Camenisch malt 1926 im Mendrisiotto eine Reihe eindrucksvoller expressionistischer Landschaften. Ernst Ludwig Kirchner, bei dem sich Camenisch in jenem Sommer aufhält, reagiert mit Zurückhaltung auf dessen neue Arbeiten. Ende der 1920er-Jahre wandelt sich Camenischs Stil. Er malt flächige, sehr eigenwillige, bisweilen halluzinatorisch wirkende Leinwände. In den 1930er-Jahren werden die Gemälde kleinteiliger, naturalistischer. Die starken, expressionistischen Farben werden zurückgenommen, das Kolorit wird kreidig-trocken. Die Bilder jener Zeit zeigen idyllische Vorgärten oder aber Arbeitslose: Paul Camenisch oszilliert zwischen der gemalten bürgerlichen Idylle und dem politisch engagierten, gesellschaftskritischen Bild. Doppelbödig ist seine grossformatige Diskussion im Atelier von 1941–43 (Chur, Bündner Kunstmuseum): In ein kultiviertes bürgerliches Interieur bricht die Realität des Krieges ein. Die Aufmerksamkeit der dort versammelten Runde gilt einerseits einem zeitlos wirkenden Gemälde auf einer Staffelei – der Künstler, der daneben steht, trägt die Züge Paul Camenischs. Gleichzeitig sind die Opfer des Krieges als Bild im Bild präsent, und auf einer aufgefalteten Europakarte kann der aktuelle Frontverlauf studiert werden. Nach seiner politisch motivierten Absetzung als Präsident der Gruppe 33 zu Beginn der 1950er-Jahre lebt Camenisch künstlerisch und persönlich in zunehmender Isolation. Quelle: Sikart.ch Textausschnitt / Marco Obrist, 1998
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