Wir und die Wirklichkeit
Erzählt man, am Abend heimgekommen, von der Arbeit, erzählt man, was geschehen ist, was man getan hat? Wird man andererseits gleichermassen befragt, wie es einem ergangen ist? Gibt der Vater, zu Hause eingetroffen, der Frau und seinem Kind, Einblick in sein Tagesgeschäft, oder die Frau ihm und dem Kind, sind die, die einen erwarten, wissbegierig zu erfahren, was man getrieben hat, was einen umtreibt? Aufs Erste eine Frage, die man rasch bejaht, selbstverständlich tut genau das jeder normal fühlende und denkende Mensch, das ist Gepflogenheit. Wir nehmen an zu wissen, was die tun, mit denen wir unter einem Dach leben, jedenfalls muss uns das nicht beunruhigen. Der Vater ist als Maurer tätig, er zieht Wände hoch. Wo tut er das eigentlich, diese Wände hoch ziehen? Was verbergen diese Wände, wenn sie fertig sind? Dort vielleicht vorüber Gehende halten sich noch weniger damit auf, und der Vater beugt sich in dem Augenblick beim Aufnehmen des Mörtels auch hinunter, oder er dreht sich ein wenig weg, dass er nicht erkannt und sogleich angesprochen wird. Ist die Mauer, an der er baut, zu irgendwelchem gutem Zweck gedacht? Ist sie nur etwas gedankenlos Geplantes, eine graue Banalität, die andere Banalitäten verdecken soll? Oder soll sie etwas verbergen helfen, von dem die Welt besser nichts weiss, einen Abgrund? So oder so, wie geht es dem Vater dabei? Vater kommt erschöpft, in Gedanken versunken, spät nach Hause, und nie haben wir gefragt, was ihn so erschöpft gemacht hat, einesteils weil man als Kind ein Solches die Erwachsenen nicht zu fragen hat, andererseits aus Scheu, es würde dann etwas nicht wieder gut zu Machendes passieren. Der Vater ist Maurer, Malocher, das genügt. Er dreht sich weg. Dem Kind ist die Zurückhaltung nachzusehen. Wie jedoch, wenn es grösser, erwachsener geworden ist, empfänglicher?

Hinter Mauern, die hoch genug sind, dringt nichts hervor von dem, das sich dorthin auf den Rückzug begeben hat. Die Welt vor den Mauern bleibt ausgeschlossen. Hinter Mauern, die hoch genug sind, bleiben diejenigen, die das Leben dort zubringen, auch ausgeschlossen, von der Welt davor.
Vater errichtet für Leute Mauern zu - wie er sagen würde -, ihrem Schutz, dass sie nicht behelligt werden, wo sie sich eingerichtet haben. Vater hat eine Mauer zwischen uns errichtet zu - wie er sagen würde-, meinem Schutz, doch überkommt mich irgendwann die Vermutung, dass es nicht so eindeutig ist, zu wessen Schutz es geschah. Er wünschte nicht, behelligt oder aufgerüttelt zu werden. Ich liess es zu. Eines Tages wird es vorbei sein,
und ich weiss nichts von ihm.
Friedhard Tischer
 
Gemälde von Andrea Eitel
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